13. Februar 2025

Ein Tag wie aus der Zeit gefallen

Mia und Hubert entscheiden sich für Mittelalter statt Gegenwart

Lesezeit: 7 Min.

von Mia Süß

Ein annähernd wolkenloser Sommertag am Fluss. Gemächlich streben die Wasser voran, zu hören sind lediglich die fröhlich singenden Vögel und die brummenden Bienen. Ein perfektes Idyll. Das einzig sichtbare Zeichen von Zivilisation flussabwärts ist eine große Brücke – und darauf eine ebenso große Menge am Menschen. Warum aber stehen sie da einfach so an einem frühen Samstagnachmittag und tun … nichts?

Die Antwort lässt sich beim Blick flussaufwärts finden. Mitten auf dem Fluss – es ist der Regen nördlich von Ramspau im Landkreis Regensburg – treibt da gemächlich etwas, dass all die Leute fasziniert beobachten. Ein blumengeschmücktes Floß nähert sich. Bis hierhin alles noch soweit normal für eine Szene, die sich so an jedem beliebigen Wochenende zugetragen haben könnte. Beim näheren Hinsehen allerdings fällt dem Betrachter Ungewöhnliches ins Auge:

Irgendetwas ist hier nicht wie immer

Die Menschen auf dem Floß tragen Kleidung, wie man sie aus dem Jahr 2005 nicht kennt. Eher würden sich die Gewänder auf Abbildungen aus dem Jahre des Herrn 1405 finden: Die dunkelhaarige Frau mit dem Blumenkranz auf dem Kopf trägt ein prächtiges burgunderrotes Gewand, für das die Adeligen ihrer Zeit mit Sicherheit den Gegenwert mehrerer Jahreseinkommen einer Handwerkerfamilie hätten aufbringen müssen. Auch das gestickte Wappen auf der Brust des sie begleitenden Herren und sein goldener Stirnreif zeugen davon: Hier nähert sich jemand von Stand dem kleinen Ort. Der kleine Junge in der Begleitung des Paares trägt einen Waffenrock mit dem Wappen seines Vaters – und selbst die Begleiter auf dem Floß wie der Fährmann sind mit sauberer Kleidung ausgestattet. Gleiches gilt für die Menschengruppe oben auf der Brücke. Elegante Roben, Federhüte, samtene Jacken und Hosen oder Brokatstoffe gibt es da zu sehen. Sogar eine ganze Reihe von Männern mit Waffen wartet zusammen mit den Leuten oben darauf, dass die kleine Gruppe mit ihrem Floß endlich anlegt und zu ihnen heraufsteigt. Es scheint sich also etwas Besonderes zu tun an diesem Tag am Fluss. Nur, was? Die Auflösung des Rätsels sei kurz erzählt, solange sich die Gesellschaft zu einem langen Zug formiert und dem nahegelegenen Dorf zustrebt: Die Edelleute Huguberath von Bergham und Donna Mirandolina di Monteferro des Jahres 1405 (im Jahr 2005 sind es Hubert und Mia Süß) ziehen zusammen mit ihrer Festgesellschaft zur Pfarrkirche, um sich hier trauen zu lassen. Eine ungewöhnliche Hochzeit, wie man sie kaum alle Tage sieht. Ebenso ungewöhnlich wie das ganz private Mittelalterfest im Dorfgasthof, das anschließend gefeiert werden soll.

Das kleine technische Problem

Bevor es allerdings so weit ist, müssen die Hauptpersonen des Tages erst einmal eine ganze Reihe ungeduldiger Fragen ihres Empfangskomitees beantworten: „Wo bleibt ihr denn?“, „Warum hat das denn so lange gedauert?“, „Wir dachten schon, ihr kommt gar nicht mehr – was war denn los?“… Ja, was war los? Warum waren die Brautleute erst eine gute halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit für die Hochzeitsmesse am Regen-Ufer angelandet und hatten damit nicht nur die gut hundertköpfige Gästeschar, sondern auch die Ministranten und den Pfarrer einfach ohne jegliche Erklärung warten lassen? Keineswegs aus bösem Willen oder Übermut, erklären die beiden. Vielmehr ist die Verspätung den etwas zu blauäugigen Transport-Vorbereitungen oder genauer gesagt der sprichwörtlichen Tücke des Objekts geschuldet. Selbiges Objekt ist nämlich die große Holzstange, mit welcher der Flößer das Gefährt der Brautleute den Fluss hinuntersteuern soll. Die tut zwar ihren Dienst – erweist sich allerdings mit ihren drei Metern Länge angesichts einer im Vorfeld der Hochzeit nicht noch extra angesetzten Probe-Fahrt als zu kurz für die tiefe Flussmitte des Regens … Ohne entsprechende Steuer- und Beschleunigungsmöglichkeit bleibt also Mirandolina, Huguberath und ihrer Entourage nichts Anderes übrig, als sich mit dem Floß gemächlich den Regen hinuntertreiben zu lassen. Und das dauert eben so seine Zeit. Endlich sind aber alle am Gotteshaus angekommen, Pfarrer und Ministranten nehmen ihre unfreiwillige Pause wie alle mit Humor und die Brautmesse kann starten. Als Zugeständnis an die modernen Zeiten geht es aber, nachdem die Bewaffneten ihre Schwerter an der Kirchenpforte abgelegt haben, gleich nach drinnen. In früheren Jahrhundert hätte die Trauung unter dem Kirchenportal stattgefunden und erst danach die Messe in der Kirche. Auch der Anteil am mittelalterlichem Kirchen-Latein beschränkt sich auf einige Lieder und das Predigt-Motto „Si me amas“ (Wenn Du mich liebst). Eine dem feierlichen Anlass noch angemessenere „lateinische Messe“ sollte erst zwei Jahre nach diesen Ereignissen wieder möglich werden. Schade irgendwie. Der Gottesdienst ist vorbei, das Paar (sofern überhaupt möglich) noch glücklicher als zuvor, jetzt wird im Kreise der mittelalterlichen Festgesellschaft gefeiert. Und während man sich im Garten des Gasthofs bei den Klängen der Mittelalter-Spielleute auf die nun folgenden Ereignisse einstimmt, sei die Frage erlaubt: Wie bringt man eigentlich solch eine Menge Leute, die zu einem gut überwiegenden Teil mit dem Mittelalter „so gar nichts an Hut haben“ dazu, sich für einen Tag eine historische Gewandung überzuziehen und sich einzulassen auf das Abenteuer Mittelalter-Hochzeit?

Das Dilemma mit der Kleidung

Die Antwort: „Man schreibt es ganz einfach in die Hochzeitseinladung, gibt ein paar Tipps zu Kostümverleihern oder Shops, plündert seinen privaten Gewandungs-Vorrat – und hofft darauf, dass die Gäste das durchziehen“, schmunzeln Mirandolina und Huguberath. Das tun die Gäste tatsächlich so gut wie alle. Allerdings gelegentlich mit kleineren Hindernissen, wie Reiner Wittmann erzählt: „Mia und Hubert haben mich ins Schwitzen gebracht“, lacht er. Wie das? „Leider kam ich zu spät zum empfohlenen Kostümverleih. Der hatte dann für mich nur noch einen ‚Landedelmann um 1500‘ auf Lager – ganz in warmer Winterwolle … und das bei 30 Grad!“ Richtig ins Schwitzen kommen die Gewandeten allerdings nicht unbedingt nur wegen des Wetters. Mittelalter-Freunde des Brautpaares haben sich nämlich um das gekümmert, was bei einer standesgemäßen Hochzeitsfeier im Jahre 1405 keinesfalls fehlen darf: ein Turnier. Beim Schwertkampf dürfen die neuzeitlichen Gäste noch zuschauen und sich einstimmen lassen – aber dann gelten keine Ausreden. Mit der Lanze vom Leiterwagen aus einige Ringe zielsicher zu treffen und aus ihrer Verankerung zu lösen, das wäre an sich schon diffizil genug. Was aber, wenn das vor den Wagen gespannte „Pferd“ (der Einfachheit halber einer der Gäste statt eines Schlachtrosses) so gar nicht hören mag oder zu bremsen ist? Dann wird es garantiert ein Riesen-Spaß … zumindest für alle Zuschauer.

Bruchenball und die Folgen

Noch viel mehr Spaß – zugegebenermaßen ebenfalls hauptsächlich für die Nicht-Beteiligten – bringt ein „Spiel“, mit dem im Mittelalter die Knappen trainierten, ihre vom Pferd gestürzten Ritter in voller Rüstung schnellstmöglich aus der Gefahrenzone des Schlachtfeldes zu transportieren. Beim Bruchenball versuchen zwei Teams, einen riesigen, etwa 30 Kilogramm schweren Ledersack gemeinsam in ihren Zielbereich zu bekommen. Erlaubt ist dabei so gut wie jedes Mittel außer Waffeneinsatz. Um selbigen wirkungsvoll zu verhindern, wird Bruchenball dann auch nur mit Bruche bekleidet gespielt – einer Art mittelalterlicher langer Unterhose. Auch das ziehen die Mannschaften wie „Über 50 Jahre“, „Redakteure“ oder „Über 100 Kilo Körpergewicht“ eisern durch. Es gibt tatsächlich jede Menge Gaudi und – nun ja – fast keine Verletzten. Dass nämlich einer der Teilnehmer aus dem „Ü100“-Team bei dem Gerangel und einem kleinen gemeinsamen Sturz dem Vater der Braut eine massive Knie-Verletzung und etliche Wochen auf Krücken beschert hat, wird Letzterem als trainiertem Sportler so wirklich erst ein paar Tage nach der Hochzeit klar. Noch so manches mehr gäbe es zu erzählen – vom Essen mit Rezepten aus dem mittelalterlichen Kochbuch, von Spielleuten und gemeinsamen mittelalterlichen Tänzen (die sogar die Ungeübten schnell gelernt haben), vom grandiosen Feuerspektakulum, vom Drama mit dem Brautkleid im Vorfeld der Hochzeit und von vielem mehr. Aber das wäre dann eine andere Geschichte. Und noch eine, und noch eine …

Fotos: Doris Inzelsperger

Erschienen in „Wir heiraten / #Oberpfälzerin“, Ausgabe 2024

Share This