
Der Schleier
Traditionell, Zeitlos und magisch
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von Lea-Mareen Kuhnle
Langsam schreitet die Braut den Mittelgang entlang, ihrem zukünftigen Ehemann entgegen. Der Schleier verdeckt schemenhaft ihr Gesicht. Vorne angekommen lüftet ihr Vater oder der Bräutigam ihre Verschleierung. Ein Moment, der allen Beteiligten den Atem raubt. Ein unvergesslicher Augenblick. Doch warum trägt man heutzutage einen Schleier und wie halten es die Bräute international?
Mit Spitze, Volumen oder minimalistisch. Kurz, lang oder sogar mit Schleppe. Der Braut sind bei der Wahl ihres Schleiers keine Grenzen gesetzt. Lediglich die Farbe, das Material und die Form müssen zum Brautkleid passen. Die alte Tradition des eleganten Kopfschmuckes mit seiner reichen Geschichte führt weit in die Antike zurück. So gibt es Hinweise darauf, dass bereits im dritten Jahrhundert vor Christus in Mesopotamien ein Brautschleier von Frauen und Gottheiten zeremoniell genutzt wurde. Viele sehen dort den Ursprung dieses Brauches. Seit dem vierten Jahrhundert nach Christus hat der Schleier auch im Christentum seinen Platz und seine Symbolik gefunden.
Rot als Farbe der Liebe
Im Alten Rom wählten die Bräute ihre Schleier in rot, um damit Leidenschaft und Feuer sowie Liebe und Hingabe auszudrücken. Später wurden die Schleier als Zeichen von Jungfräulichkeit und Treue nur noch in Weiß getragen. Als ihr einziges weißes Accessoire stand der Schleier für die Reinheit der Braut. Denn damals war es noch nicht üblich ein weißes Kleid zur Hochzeit zu tragen. Aus diesem Grund war es Bräuten bei ihrer zweiten Eheschließung auch verboten, einen Schleier zu tragen. Diese Tradition wurde mit der Zeit immer mehr gebrochen und somit ist es Bräuten heutzutage auch bei ihrer zweiten Hochzeit freigestellt, ihr Kleid mit einem Schleier zu krönen. In den baltischen Regionen setzen Bräute auch heute bei der Wahl ihrer Kopfbedeckung noch auf die rote Farbe.
Schutz gegen böse Geister
Nach einem alten heidnischen Brauch ist ein Schleier ein magischer Gegenstand, der die Bräute vor bösen Geistern schützen soll. So verhindert die Gesicht umhüllende Kopfbedeckung, dass Dämonen durch die Ohren, Nase und den Mund eindringen können und Unglück mit sich bringen. Gleichzeitig soll ein Schleier die Braut vor neugierigen Blicken schützen und ihre Abschiedstränen verdecken, die sich aus der künftigen Trennung zu ihrer Familie ergeben. Erst mit der Kaiserin Sissi fand der Brautschleier Mitte des 19. Jahrhunderts wieder neue Anhänger. Als modisches Accessoire ist er somit auch heute noch gefragt und dient neben all den traditionellen Hintergründen und der nostalgischen Symbolik als Unterstreichung der weiblichen Schönheit.
Das Lüften des Schleiers
Nicht nur die Kopfbedeckung selbst ist mit zahlreichen Bräuchen versehen. Auch das Lüften des Brautschleiers wird mit verschiedenen Traditionen verbunden.
- Um den Anfang von etwas Neuem zu symbolisieren, wurde der Schleier damals erst nach der Hochzeit vom Bräutigam gelüftet. Der Wandel vom Mädchen zur Frau wurde somit erst dann final durchgeführt und besiegelt.
- Ein besonders emotionaler Moment für das Brautpaar und die Gäste ist es, wenn der Bräutigam den Schleier direkt nach dem Jawort lüftet. Ihm alleine soll der erste Blick auf seine frisch angetraute Braut gehören. Auf diese bewegende Geste folgt der erste Kuss, um das neue Lebenskapitel zu besiegeln.
- Vor allem bei Zweckhochzeiten war es Brauch, bereits während der Trauung den zweilagigen Schleier zu lüften, damit der Bräutigam sichergehen konnte, die richtige Braut zu ehelichen.
- Auch heute noch ist es in manchen Kulturen Brauch, dass der Vater der Braut den Schleier lüftet, bevor er sie am Altar dem Bräutigam übergibt. Dies wird als Zustimmung zur Ehe verstanden und ist eine besonders rührende Geste.
Internationale Bräuche rund um den Schleier
In Deutschland wird mit dem Schleiertanz um Mitternacht die Party noch einmal richtig in Gang gebracht. Hier gibt es verschiedene Varianten. Die beliebteste: Das Brautpaar tanzt unter dem Schleier und die Hochzeitgäste werfen Münzen, Geldscheine oder auch Rosenblüten und Kräuter auf den Schleier. Mit diesem Zoll erkaufen sie sich ihren persönlichen Tanz mit der Braut oder dem Bräutigam. Aber nicht nur in Deutschland sondern auf der ganzen Welt gibt es weitere Bräuche und Traditionen.
Polen
Was in Deutschland das Brautstraußwerfen ist, ist in Polen der Wurf des Schleiers und der Fliege des Bräutigams. Der Schleier wird in die Menge lediger Frauen geworfen. Die Fängerin ist diejenige, die als nächstes heiraten wird.
Mexiko
Beim Schleiertanz, dem „Vibora de la mar“ (übersetzt: Seeschlange), stehen sich die Braut und der Bräutigam auf Stühlen gegenüber und halten den Schleier wie eine Brücke über die Tanzfläche. Die Gäste tanzen nun wie eine Schlange hindurch und halten sich dabei an den Händen. Begleitet wird diese Tradition durch Gesänge und Tänze aller Art.
Judentum
Auf jüdisch-orthodoxen Hochzeiten verhüllt der Bräutigam das Gesicht seiner Braut mit dem Schleier, um an die biblische Geschichte rund um Rebekka zu erinnern. Durch diese Gestik würdigt er die innere Schönheit der Braut und schützt sie vor bösen Blicken. Erst unter der Chuppa darf er diesen wieder abnehmen.
Muslimische Kulturen
In muslimisch geprägten Ländern tragen die Bräute, um ihre Haare zu bedecken, oft eine Hijab oder Niqab. Erst nach der Hochzeit bekommt der Bräutigam die komplette Schönheit seiner Ehefrau zu sehen.