Ein Engel in Kutte
Als „Barber Angel“ schneidet Hannah Obdachlosen ehrenamtlich die Haare
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von Lea-Mareen Kuhnle
Jeder kann Geld stiften, alte Klamotten abgeben oder Blut spenden. Doch das, was Hannah Bauer aus Luhe macht, ist wirklich besonders und in der Oberpfalz nahezu einmalig. Die 29-Jährige schneidet als Teil der „Barber Angels“, einem karitativ tätigen Verein, Obdachlosen und sozialbedürftigen Personen die Haare. Und das ehrenamtlich, unentgeltlich und auf eigene Kosten. Als Dozentin in der Friseurmeisterschule in Weiden ist sie ein Profi in ihrem Beruf. Und davon dürfen auch die Bedürftigen in ganz Bayern profitieren. Seit sechs Jahren ist sie Teil der „Brotherhood“. Einem Verein, der 2016 in Biberach (Baden-Württemberg) gegründet wurde und mittlerweile in Österreich, Spanien sowie Norwegen, in den Niederlanden, in der Schweiz und seit 2022 auch in Südamerika vertreten ist.
HANNAH BAUER
ist seit rund sechs Jahren Teil der „Barber Angels“. In ihrem Ehrenamt schneidet sie in ganz Bayern
Obdachlosen und sozialbedürftigen Menschen unentgeltlich die Haare.
Foto: Sebastian Böhm
„Bereits der erste Einsatz hat mir die Lust und das Schöne an meinem Beruf wiedergegeben. Diese Dankbarkeit, Wertschätzung und gleichzeitig die Offenheit, was Haarschnitte angeht, machen es aus. Es ist einfach ein anderes Arbeiten. Manche haben vielleicht vorher schon selbst an ihren Haaren herumgeschnitten“, erzählt Hannah. Zwei Mal im Monat – meist sonntags – fährt die Friseurin auf eigene Kosten zu ihren ehrenamtlichen Einsätzen. Ihr dreijähriger Sohn bleibt in dieser Zeit bei ihrem Partner, ihren Eltern oder ihren Schwiegereltern. Etwa fünf bis zehn bayerische Engel sind bei jeder Aktion dabei und stehen für die zahlreichen Gäste zur Verfügung. „Wir versuchen die gleichen Städte etwa alle drei bis vier Monate zu besuchen.“ Dabei erfahren die Bedürftigen über die Schwarzen Bretter gemeinnütziger Organisationen wie Caritas und Diakonie oder in Bahnhofsmissionen und Kirchengemeinden sowie in Einzelfällen auch persönlich vom Besuch der „Barber Angels“.
Bei ihren Einsätzen tragen alle Schneide- und auch Orga-Engel ihre Kutten mit den entsprechenden Patches und Orden darauf. 2019 wurden sie etwa als erster deutscher Verein mit dem „Grand Prix Humanitaire de France“ ausgezeichnet. „Jeder hat seine Kutte individuell gestaltet – mit Pins, dem Posten und dem Spitznamen, damit die Gäste einen ansprechen können.“ Auch der schwarze Dresscode und der Verzicht auf Marken lässt die Friseure nahbarer und bodenständiger wirken.
Neben ihrer Arbeit als Dozentin in der Weidener Meisterschule ist Hannah Bauer Teil der „Barber Angels“. Knapp 15 aktive Mitglieder verzeichnet der Verein im „Chapter“ Bayern. Bei ihren Frisuren sind die älteren Herren nicht wählerisch und denken oft pragmatisch: Sobald es kälter wird, werden die Haare wieder länger. „Aber die jüngeren Männer werden immer anspruchsvoller“, erzählt die Friseurin.
Fotos: Barber Angels Brotherhood
Die Einsätze der „Brotherhood“ finden meist in Parks, auf Firmengeländen oder in Kaffees statt. „In Regensburg sind wir im Drugstop, da können die Leute auch kontrolliert Drogen nehmen. In Augsburg schneiden wir direkt an Gleis 1 am Bahnhof und im Frauenhaus. Die haben auch ein Klamottenarsenal, für das wir auch mal unsere gesammelte Kleidung oder Schlafsäcke abgeben“, erläutert Hanna.
Meist steht den Engeln kein fließendes Wasser oder Strom zur Verfügung. Auch Spiegel sind eine Seltenheit. Die Versorgung der Gäste beschränkt sich somit nur auf das Nötigste. Haare schneiden, Bart stutzen und ganz wichtig: zuhören. „Das Vertrauen, das sie uns geben, ist teilweise größer als im Salon. Dadurch, dass oft keine Spiegel vorhanden sind, müssen sie uns komplett vertrauen und öffnen sich dadurch auch schneller. Wir tasten uns dann ran, je nachdem, was sie uns erzählen wollen und fragen, wie es sich seit dem letzten Besuch entwickelt hat. Unsere Gäste sind froh, wenn sie mal erzählen können und Verständnis entgegen gebracht bekommen“, erzählt Hanna.
„Manche weinen auch und dann ist es besonders schlimm zu hören, was sie für Geschichten erlebt haben. Viele haben vielleicht auch gar keine Schuld daran, in eine solche Situation gelangt zu sein.“ Einige ihrer Gäste begleitet die Friseurin über Jahre und hat mittlerweile eine Beziehung aufgebaut. „Schwierig ist es dann, wenn Stammgäste nicht mehr kommen. Teilweise kennen sich die Obdachlosen untereinander und wir können es erfragen. Aber es kann in alle Richtungen gehen: gut und schlecht.“